In meiner Kindheit war Ostern der feste Termin, der mich nach dem langen, unfreundlichen Winter mit kratzigen Strumpfhosen in das leichte Leben mit Kniestrümpfen befreite. Die hatten zwar auch ihre Tücken, es gab sie nur locker, so dass man ständig mit hochziehen beschäftigt war oder aber mit festem Bund, der sich nach 30 Minuten in das Fleisch oberhalb der Wade eingeschnitten hatte. Aber über den letzten Sommer ohne Strümpfe und über den Winter hatte das Gedächtnis diese Erinnerung verdrängt und mit dem Sprießen der Natur stellte sich der Wunsch nach Kniestrümpfen ein.
Jetzt verhält es sich ja mit Ostern so, dass es keinen feststehenden Termin gibt auf den man sich verlassen kann. Weihnachten ist für jedes Kind im Kalender einfach zu finden. Ostern findet man nie. Egal wie schön das Wetter auch war. Bis Ostern wurde der Wunsch nach den Kniestrümpfen mit den Worten: “Es ist noch nicht Ostern“ abgeschmettert.
An manchen Ostern lag der Garten, bei uns am Rande des Schwarzwald, noch farblos und traurig da. Die, für die Vase geschnittenen und mit Ostereiern dekorierten Forsythien Zweige, benötigten warmes Wasser um zu treiben. Dann war es ganz schön kalt am Knie in meinem Faltenrock und den Kniestrümpfen.
Aber meistens blühte der Garten bunt und die Forsythien Zweige benötigten keine Unterstützung, um mit ihrem strahlenden Gelb mit den Eiern um die Wette zu leuchten. Ostern war, bei uns im Kalender der Feiertage, mindestens so hochwertig wie Weihnachten. Alle Tanten reisten an und meine Cousins trugen stolz ihre kurzen Hosen.
Direkt nach dem feierlichen Frühstück mit den Osterhasen-Serviettenringen und den Tulpen in der Vase strömte die ganze Gesellschaft in den Garten. Meine Tante Hanna hatte den Dackel Bessie in ein anderes Zimmer gesperrt, damit sie nicht den Osterhasen „erschreckt“. Und tatsächlich, wie jedes Jahr an Ostern mümmelte ein großer, weißer Hase auf der Wiese und bediente sich am frischen grünen Gras. Wir Kinder wollten ihn streicheln und gingen vorsichtig und ihm signalisierend „wir kommen in guter Absicht“ auf ihn zu.
Manches Jahr blieb der Hase zutraulich sitzen und fraß ruhig weiter, während die Kinderhände über sein Fell strichen. Andere Jahre hopste er immer darauf bedacht den Sicherheitsabstand einzuhalten vor uns her. Dabei entdeckten wir bunt verpackte Geschenke, die überall im Garten verteilt waren. Die Nachbarn hörten den fröhlichen Trubel und kamen auch um uns bei unserer Freude Gesellschaft zu leisten. Wir Kinder jubelten über den Hasen und unsere Geschenke, die Erwachsenen organisierten sich etwas zum Anstoßen, plauderten und genossen die Frühlingssonne.
Bei diesem munteren Treiben muss jemand, aus Versehen, die falsche Tür geöffnet haben. Wie ein schwarzer Pfeil kam Bessie in den Garten geschossen. Der nichtsahnende Hase reagierte leider erst als der Dackel ihm schon in den Pelz fahren wollte. Jetzt begann eine wilde Hatz. Der Hase rannte blitzschnell und Hacken schlagend zwischen den Beinen der Ostergesellschaft hindurch. Der Dackel nicht ganz so schnell aber entschlossen, Laut gebend hinter ihm her. Die vermeintliche Beute immer kurz vor seiner Nase. Die Großmutter, meine Mutter und die Tanten sprangen mit entsetzten, schrillen Schreien in das sichere Wohnzimmer. Mein Vater und der Nachbar versuchten dem Hasen den Weg abzuschneiden und ihn zu fangen. Meine Tante Hanna appellierte lautstark und umsonst an den Gehorsam von Bessie. Die Cousins weinten wegen dem armen Hasen und ich war ganz klar auf Bessies Seite, als Einzige! Irgendwann flüchtet der Hase unter einen dichten Strauch. Bessie war dicht dran aber mein Vater warf sich blitzschnell auf sie und zog sie aus dem Gebüsch.
In manchem Jahr hatte Bessie einzig das Maul voller weißem, fusseligen Hasenfell und der Hase wurde uns mit einem Schreck aber unversehrt präsentiert. Andere Jahre bekamen wir den Hasen nicht mehr zu sehen. Dann trug ihn der Nachbar mit bösem Gesicht und vor sich hin schimpfend zu sich nach Hause. Die Großmutter und die Tanten begingen den Kirchgang, mein Vater und die Onkels tranken einen Schnaps und ich beruhigte Bessie, dass meine Liebe zu ihr ungebrochen sei.
Beim Mittagessen lachten dann alle wieder über die Tatsache, dass so sicher wie es zu Ostern Kniestrümpfe zu tragen gibt, der Dackel es schafft den Hasen zu hetzen.
Frohe Ostern!
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Ute Larberg (Samstag, 11 April 2020 11:43)
Das ist wieder so herrlich bildlich geschrieben. Klasse.
Uschi (Montag, 13 April 2020 15:37)
Julia, ich liebe deine Geschichten, so richtig zum eintauchen.
Hab wieder einige auch nachgelesen. Immer wieder eine Freude :-), Danke